Wie sie doch dem neugierig sich herein tastenden Publikum entgegenstehen! So, als hätten sie hier fix Platz genommen; fest gewachsen und monströs. In sich ruhende Wesen; grotesk, janusköpfig und bipolar. Eine neue Variation der Moai Statuen der Osterinsel. Hier, in dieser geometrisch klaren Dichtbetonhalle wirken sie geradezu organisch, wenn auch versteinert. Stellenweise haften ihnen Spuren der Witterung an. Feiner Algenbewuchs oder grüner Schlick. Dennoch merkt man schnell, dass hier nicht die Jahrtausende Platz genommen haben. Eindringendes Sonnenlicht von draußen legt sich in scharf geschnittenen Streifen über die flächigen Fratzen. Die Schatten einer Jalousie erinnern an ein visuelles Narrativ aus dem amerikanischen Kino, aus dem hard boiled crime fiction Film. Eigentlich überlagert sich eine sichtbare Funktion dieses in jeder Hinsicht streng technoid gestalteten artspace – dessen Abschirmung vor einer Überdosis Tageslicht – mit einem der geradezu archaisch wirkenden Objekte, sodass verschiedene Zeichensysteme zusammenkommen.
Aber welch illusionäres Theater tut sich da auf! Die in erkennbarer Choreographie angeordneten ALIENATES, Skulpturen von menschlicher Höhe, bestehen gar nicht aus Stein, sondern aus dem sonst im Bauwesen eingesetzten Werkstoff Styrodur, überzogen mit Spachtelmasse. Tiefer im Raum begegnet man weiteren, ähnlich rätselhaft doppelgesichtigen Objekten der Künstlerin Marianne Maderna. Allerdings sind diese wesentlich kleiner und stehen nicht im Raum. Montiert auf dünnen Stäben manifestiert sich deren leuchtende Evidenz zittrig fragil. Transformiert in eine andere Dimension setzt sich hier das Konzept der zwei auseinander liegenden Münder, jeweils an der Außenseite der Gesichter der merkwürdigen Doppelwesen, fort. Und sie sind nicht irgendwer. Vielmehr Projektionen des Herauslachens der Künstlerin aus dem Fass. Doppelköpfige male-couples; unauflöslich ineinander verwachsen. Aufgeblähte Dämonen aus dem Studium des Grauens heraus entwickelt. Aus Videostudien übersetzte Maderna das zynische Lächeln von Weltpolitikern unserer Zeit in allegorisch zeichenhafte Kürzel. Per Schwarzlicht-Lampe vom Boden her ultraviolett bestrahlt leuchten sie fluoreszierend. Das löst fast einen geisterhaften Eindruck aus, sofern eine solche Beschreibung als Kategorie der Gegenwartskunst angenommen werden kann.
Verstärkt wird so auch die Tiefendimension des dämmrig dunklen Ausstellungsraumes. Auf dieser Ebene spielen zahlreiche formale Kriterien eine tragende Rolle. Seit längerem betreibt Marianne Maderna, deren Vorgeschichte auf dem Terrain der streng geometrischen Skulptur liegt, eine Art subversive Dekonstruktion und zugleich Erweiterung des dreidimensionalen, körperhaften Objekts. Häufig kommt es so zu Serien ähnlicher Arbeiten, oft in Blickhöhe auf Stäben präsentiert. Setzte Maderna sich ursprünglich mit elementaren architektonischen Fragen von Behausung auseinander, so ging sie, parallel zur Umsetzung teils sehr riskanter performativer Interventionen, zu ästhetisch künstlerischen Bearbeitungen von Machtverhältnissen und der Dynamik von hierarchischem Gruppenverhalten als gesellschaftlich determinierende Struktur über. Zahlreiche ihrer Arbeiten sind offensiv feministisch. Ein Schmunzeln im Inneren und manchmal vielleicht sogar ein hämisches Herauslachen der Künstlerin spielen mit. Madernas sprachliche Kreationen zeugen von solchem Eigensinn.
Die in einer Bodenprojektion vorüber ziehende Buchstabenreihe »HUHUMAN …« vermittelt einen Anklang, wie Maderna aus einer Haltung ironischer Verweigerung Wörter dehnt oder verzerrt. Wie weit sie Abstand zu halten versucht von überperfekten High-Tech-Lösungen und Strategien der Umsetzung wählt, die aus einer Attitude von D.I.Y. – Do it Yourself also – wie in den ersten Tagen von Punk oder später auch Techno kommt, wird umso deutlicher, je mehr die Aufmerksamkeit sich Schwarzenbergers langsam im Raum dahinwummernden Basslines von dessen Videoarbeit zuwendet. Begleitet von sich nervös beschleunigenden und dann wieder wie in Zeitlupe zurückbremsenden Jungle-Rhythmen bewirken sie unwillkürlich eine Dramatisierung des von unterschiedlichen Lichtschattierungen durchzeichneten Gefüges.
Der sich in tektonischer Dynamik ausbreitende Sound grundiert die Videoprojektionen von Sito Schwarzenberger und stammt von dessen Bruder Lukas Schwarzenberger. Sonare Kräfte versetzen den Raum in eine gen unendlich strebende Weite. Deterritorialisierte und auf Grund ihrer Signifikanz unmittelbar wiedererkennbare Audiosegmente wie ein sich einschleifendes akustisches Aufblitzen von Trans-Europa-Express aus dem Elektronik-Labor von Kraftwerk erzeugen einen mythisch verstärkten Drive aus Phasen anschwellender und wieder abklingender Übergänge, während sich visuelle Schichtungen von Zeichenagglomerationen sukzessive verdichten, auflösen oder weiter bewegen. Gelegentlich sind es flächige Schichten, manchmal sind es Einzelelemente, die in Bewegung geraten, um sich hernach in eine kosmische Struktur zu integrieren. Beginnend mit einem weißen Mond in der Morgenröte der Abstraktion geht eines allmählich ins andere über. Als integraler Bestandteil des Breitwandvideos von Sito Schwarzenberger verstärkt der Sound die spatiale Erfahrung der Ausstellung. Zugleich unterstreicht er die Dramaturgie der auftauchenden Zeichen und Grundmuster, auf denen der abstrakte Film des Sito Schwarzenberger basiert.
Sowohl in seinen Live-Visuals in Clubs, in seiner aus postmedialem Blickwinkel heraus entstehenden Malerei, wie auch in seinem filmischen Œuvre erarbeitet Schwarzenberger ein Bezugssystem aus teils wiederkehrenden Zeichen, aus denen er dynamische Konzentrate bildet. Er nennt sie »Sito-Glyphen«. Systemisch rigide und in stetig wachsender Präzision rekontextualisiert er sie immer wieder von Neuem. Insbesondere in Schwarzenbergers Arbeit der visuellen Kommunikation in der Gebrauchsgrafik ließen sich Spuren ziehen, die zu seiner Faszination für die Isotypen des Otto Neurath als Elemente der Bildstatistik führen, welche Neurath in den 1920er Jahren entwickelte. Als ein weiteres ideelles Feld spannt sich das Konzept der Piktogramme des erst 2018 verstorbenen Hermann J. Painitz auf, für den Neurath ebenfalls ein wichtiger Vorläufer war, der in seinen Arbeiten jedoch oft Proportionen, Serien und Regelmäßigkeiten anstrebte, während er zugleich versucht hat, sich durch offensiv formulierte Manifeste Gehör zu verschaffen.
Erstaunlich, welche Genealogien sich aus dem, auf Vektorgrafiken basierendem ästhetischen Konzept dezentraler Drift des Sito Schwarzenberger herleiten lassen. Hochsouverän reizt er, der eine Generation jünger ist als seine Kollegin Marianne Maderna, sämtliche Möglichkeiten visueller Ästhetik aus dem digitalen Zwischendeck des Computers aus. Eine zweite Videoarbeit für den TANK 230.3040.AT, die im Ausstellungsraum wie eine vereinfachte Spiegelung diagonal gegenüber positioniert ist, erinnert an den Pionierzeit des von Techno reaktivierten Traums, mit den Mitteln der Abstraktion eine universelle Sprache zu schaffen. Dreieck, Auge, Pupille werden abwechselnd kombiniert und in Übereinstimmung gebracht. Vielleicht entsteht so ein Gottesauge als achtes Chakra in der Echokammer der Algorithmen.
Angelangt am anderen Ende der Parabel intensiviert sich vor allem eine Erfahrung: Durch ihre Komplementarität wirken die beiden künstlerischen Positionen wie Verstärker. Die eine schärft den Blick für die andere und vice versa; nicht nur durch die offensichtlichen Kontraste. Erst wenn die Suche nach Gemeinsamkeiten keine Rolle mehr spielt und Brücken mit ebensolcher Leichtigkeit verlassen werden, wie Wittgensteins Leiter am Ende des Tractatus ihre Notwendigkeit verliert, tauchen Momente der Berührung auf. Nach und nach erst kristallisiert sich heraus, dass die beiden, die hier ineinander übergreifend einen Raum bespielen, mit Licht arbeiten, den Begriff der Projektion unterschiedlich interpretieren und einsetzen, dass sie ein jeweils persönliches Repertoire aus visuellen Chiffren generieren, um diese dann in ihre jeweils eigene visuelle Grammatik einzubringen. Ähnlich wie Schwarzenberger die Zeichen aus ihrer Funktionalität heraus auf ein freies kommunikatives Feld führt, stichelt Maderna gegen tradierte oder sich wieder verfestigende Strukturen der Macht. Noch viel mehr als hier führte Marianne Maderna dies in einer Installation aus hunderten auf einfachen Linien basierenden und aus Draht gebogenen Mischwesen aus Mensch und Tier in der Dominikanerkirche Krems vor.
Doch je weiter solche Versuche inhaltlicher Verzahnung gehen, umso mehr wären sie wahrscheinlich sterilen kunsttheoretischen Konstruktionen ausgeliefert. Im Hinblick auf die konzeptuelle Idee von Dialog und Opposition ließe sich die Frage nach der Paarsituation, die noch keine Reihe ergibt, noch relativ einfach beantworten. Assoziativ werden Vergleichsmomente geschaffen, ohne bereits das Axiom der Gruppe zu erfüllen, wofür zumindest noch ein drittes Element notwendig wäre. Unter den Tisch gekehrt bliebe dabei wahrscheinlich, dass die Auswahl der jeweiligen Formation strategischer Komplemente aus dieser Reihe bereits aus einem Pool vorangegangener Präsentationen stammt und von zwei inhaltlich verwandten Kolleg*innen getroffen wurde, die ihre Entscheidungen eher aus künstlerischer Sicht als experimentelle Versuchsanordnung treffen, denn aus streng theoretischen Erwägungen, selbst wenn beide auf die Realisierung im Raum kuratorisch einwirken.
Dabei wird die Logik strikter Kausalitäten aufgebrochen und übergeführt in ein Resonanzsystem der Zeichen, die einander gegenseitig aufladen. Im Mittelpunkt stehen zeitgenössische mediale Codes. Offensichtlich darf aber auch etwas anderes passieren: Syntaktische Andockstellen und energetische Felder entstehen, welche Wahrnehmung und Interpretationsspielräume sonst singulär präsentierter künstlerischer Positionen in sensible Schichtungen erweitern.