Katalogtext zur Personale FRANZ GRAF | ZU DEN DREI FÖHREN 2013
»Why painting now?« hiess das Motto im Jahr 2013 bei »Curated by«, der Leistungsschau der Wiener Galerien. Wenn man die Arbeiten von Franz Graf betrachtet, gewinnt man den Eindruck, dass der Künstler sich eine ähnliche Frage stellt: »Why drawing now?« Die Zeichnung ist die Hauptarterie, durch die seine kreativen Energien fließen. Aber sie steht selten für sich allein, ist vielmehr häufig Teil von größeren Ensembles, bei denen Alltagsgegenstände, zufällige Fundstücke, skulpturale Elemente, konzeptuelle Assemblagen eine Rolle spielen. Die Zeichnung wird somit nicht als signiertes Einzelstück verabschiedet, sondern einem ständigen Stresstest ausgesetzt: Kann sie sich behaupten in der Konfrontation mit anderen visuellen Blickfängern? Ist sie in digitalen Zeiten überhaupt ein geeignetes Medium, um eine Form von Weltwahrnehmung, ja vielleicht sogar Weltdeutung zu betreiben? Ist sie nicht vielleicht zu langsam, um in der ständigen anwachsenden Bilderflut der Digicams und der Fotohandys ein relevantes Statement abgeben zu können? Warum also zeichnen? Die Antwort auf diese Frage fällt, wie immer bei Franz Graf, vielgestaltig aus. »Ich benötige eine gewisse Offenheit«, hat Franz Graf in einem Interview gesagt, das wir vor einigen Monaten geführt haben. »Ein Element der Unberechenbarkeit, um überhaupt etwas zustandezubringen. Ich kann nicht innerhalb eines definierten Rahmens arbeiten. Von daher ist eigentlich schon von vornherein geklärt, womit ich in Berührung komme und wo ich mich in Sicherheit bringen muss.«
Das Zeichnen, die Arbeit mit Graphit und Tusche ist zum einen ein natürliches Ausdrucksbedürfnis des Künstlers, zum anderen ein ästhetischer Vorschlag, der die Bedingungen und produktiven Widersprüche seiner Entstehung ständig mitreflektiert. Bei Franz Graf kann man mit Heraklit sagen: Alles fließt. Nichts ist festgelegt, sondern alles wird zum Modul in einem ikonographischen Zaubergarten, der Form, Konsistenz und künstlerische Anmutung ständig verändert. Man hat sich angewöhnt, so eine Haltung postkonzeptuell zu nennen; man könnte Grafs Ansatz aber auch mit einem Begriff aus der Musik bezeichnen, die ein ganz wesentliches, stimulierendes Element seiner Arbeit darstellt: dem Remix, verstanden als permanentes Neuarrangement von Hervorbringungen, die aber keineswegs beliebig, sondern von einer Haltung, einer Attitüde gesprägt sind. »Die Haltung hält länger als die Notwendigkeiten,« hat Bertolt Brecht geschrieben, »sie widersteht den Notwendigkeiten. Wer eine Haltung hat, der kann vieles tun und verliert sein Gesicht nicht.«
Die Haltung von Franz Graf ist die strategische Setzung der Langsamkeit in einer Zeit, in der die meisten Ereignisse Nicht-Ereignisse sind, sich dafür aber geradezu überschlagen. Graf übersetzt Bilder, die von schnellen unmittelbaren visuellen Dokumentationsmedien wie Fotografie oder Video hergestellt werden, in langsamere wie eben die Zeichnung und schreibt sich auf diese Weise ein in die Texturen und materiellen Gegebenheiten der Trägermedien. Es ist eine Form von Tätowierung dessen, was der Fall ist und gleichzeitig die Manifestation einer Unversöhntheit mit den gegenwärtigen Bedingungen der Existenz. Das unzulängliche Allzumenschliche wird von Franz Graf zu einer Erzählung geformt, die sich jenseits der Sprache in einem Raum der poetischen Irritation ausfaltet. Obwohl Sprache in seinem Werk sehr wohl eine Rolle spielt. Es handelt sich dabei allerdings weniger um Sprache als Medium der Informationsübermittlung als um Sprache als Schriftbild, als Zeichen, als semantisches Irrlicht, das kurz aufblitzt, um dann im Nichts einer grenzenlosen Kontingenz zu verlöschen. »Bestimmte Dinge haben eine poetische Auswirkung,« schreibt Michel Houellebecq, »nicht als Dinge, sondern weil sie, indem sie durch ihre Präsenz die Begrenzung des Raumes und der Zeit rissig machen, einen besonderen psychologischen Zustand herbeiführen. Die Poesie ist nicht nur eine andere Sprache, sie ist ein anderer Blick. Eine Art, die Welt, alle Dinge der Welt zu sehen.« In diesem Sinne ist Franz Graf ein Poéte maudit der zeitgenössischen Kunst. Seine Form des »Austrian Gothic« schliesst bildsprachlich an bestimmte Formen einer sinistren Black Metal-Bildsprache an, ohne ihrer Suggestion jedoch in dem Maße zu erliegen wie etwa ein Bjarne Melgard. Grafs Kunst ist eine ars combinatoria, ein hypnagogischer Reigen, der einem flüchtigen Traumzustand zu einer dauerhaften Form verhilft und die Modalitäten des Wahns und der Entgrenzung an Orten einer nüchternen, rauschbefreiten Weltwahrnehmung verankert. Einzelne Bilder tauchen wie eine Erinnerungsspur out of the past immer wieder auf und werden in der Wiederholung zu Taktzeichen, die den Rhythmus der visuellen Abfolge gliedern. Alltags- und Gebrauchsgegenstände werden auratisch aufgeladen, magische Formen und Formeln wiederum entzaubert und in ihrer dekorativen Ornamentalität ausgestellt. Franz Graf schöpft aus den Tiefen eines in vielen Jahren gewachsenen Archivs, das florale Muster aus botanischen Atlanten genauso enthält wie Fotos von vertrauten Personen, unendlich viele Variationen der geometrischen Grundform des Kreises wie eine Vielzahl von Schriften und Typographien unterschiedlichster Provenienz. Ein kulturelles Privatarchiv, das jene Dinge birgt, die dem profanen Raum entrissen wurden. Das materialisierte Gedächtnis der eigenen Biographie und der eigenen Obsessionen. »Ein Photo markiert ja auch eine Abwesenheit,« sagt der Künstler, »und gerade in dieser Abwesenheit entsteht oft eine Nähe. Beziehungen schalten sich ja nicht ab, wenn eine Person den Raum verlässt. Meine Hoffnung ist, dass sich durch die Abwesenheit eine Vertiefung ergibt. Dass etwas weitergeführt werden kann, was eigentlich schon da ist.«
»Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können,« hat Jean Paul einst geschrieben. Um die existentielle Tiefe von Franz Grafs Vision auszuloten, muss jedoch noch ein weiterer hinzugefügt werden: Die Erinnerung ist die einzige Hölle, aus der wir nicht gerettet werden können.